• Vom Umgang mit dem inneren Kritiker •
Immer, wenn ich diese Frage höre: “Ist mein Buch gut genug?”, frage ich den Autor, wo er sich auf dem Weg zum fertigen Buch befindet. Hat er gerade angefangen? Steht er kurz vor der Fertigstellung des ersten Entwurfs oder sogar kurz vor der Veröffentlichung?
Denn die Frage: “Ist mein Buch gut genug?” stellt sich tatsächlich erst ganz am Ende. Dann, wenn es darum geht, den eigenen Text zu veröffentlichen.
Wir neigen dazu, unsere ersten, unfertigen Texte mit dem gedruckten Buch in der Buchhandlung zu vergleichen. Das ist so, als hätte Michelangelo gerade einen groben Umriss seines “David” aus dem Marmor gehauen und würde ihn mit einer fertigen Statue vergleichen. Aber wie soll das funktionieren?
Vergleiche tun weh. Und sie bringen uns nicht wirklich weiter. Wir beginnen, unseren Text als “nicht gut genug” zu sehen, weil wir unrealistische Vorstellungen davon haben, wie unser erster Entwurf auszusehen hat.
Er ist nicht perfekt. Niemals. Noch kein Autor auf dieser Welt hat jemals einen perfekten ersten Entwurf geschrieben.
Die unrealistischen Vorstellungen kommen auch von Werbeanzeigen wie “Schreibe dein Buch in 3 Tagen” oder “in 12 Stunden”. Man tippt dann vielleicht in Windeseile etwas – doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieser Text als “nicht so gut”. Natürlich! Niemand tippt einfach so einen “superguten” Text in die Tastatur.
Texte benötigen Überarbeitung. Texte benötigen Zeit. Bücher, die im Regal der Buchhandlung stehen, wurden vom Autor selbst vermutlich mehrere Male, vielleicht in Absprache mit dem Verlag, überarbeitet, dann lektoriert und schließlich noch mal vom Autor durchgesehen, bevor sie abschließend korrigiert wurden. Merkst du etwas?
Kein Verlag würde JEMALS den ersten Entwurf selbst des besten Autors veröffentlichen. Das wäre Wahnsinn. Weil das Buch nicht gut genug ist.

Aus dem Lektorat lernen
Hier findet sich übrigens auch die Ursache für viele erfolglose Publikationen: Die Autoren sind sich nicht bewusst darüber, dass man einen Text verbessern muss, bevor man ihn veröffentlicht. Das soll dir jetzt keine Angst machen! Verwandle vielmehr deine Frage: “Ist es gut genug?” in die Frage: “Was kann ich noch verbessern?”, wenn du den Text überarbeitest. Lass dich davon leiten, schönere Formulierungen zu finden, den roten Faden klarer herauszuarbeiten und, und, und.
Wenn du einen guten Lektor hast, wirst du auch von ihm eine Menge lernen. Zurzeit überarbeite ich ein Buch, für das ich eine hervorragende Lektorin angeheuert habe. Sie ist streng – und ich lerne so viel von ihr! Sie öffnet mir die Augen für einige Eigenheiten, die das Lesen erschweren. Diese Eigenheiten hatten sich von mir unbemerkt eingeschlichen. Endlich hat mich jemand darauf hingewiesen! Man lernt eben nie aus.
Mache es endlich falsch!
Die Sache ist so: Dein erster Entwurf sollte fehlerhaft sein. Er dient dazu, dass du das Thema (eines Sachbuchs) oder die Handlung und die Figuren (eines Romans) tiefer erforschst. Danach erst arbeitest du daran, deinem Werk eine endgültige Form zu geben. Nutze dazu gerne die Hilfe einer Lektorin wie meiner!
Die Frage: “Ist mein Buch gut genug?” hilft dir vor allem am Anfang nicht wirklich weiter. Dein Buch ist am Anfang niemals gut genug. Aber das ist kein Problem. Es ist einfach ganz normal. Erst wenn du dranbleibst und dein Buch überarbeitest, wenn du die Änderungsvorschläge deines Lektors einarbeitest, wird dein Buch besser – und schließlich gut genug.
Nur wenn du dir erlaubst, dass es “falsch” ist, dass es “noch nicht gut” ist, kommst du mit dem Schreiben wirklich vorwärts. Und nur wenn du vorwärtskommst, lernst du wirklich, wie man schreibt. Und wirst wirklich besser.
Die überkritische Stimme in deinem Kopf hält dich nur vom Schreiben ab. Es ist Zeit, sie zu ignorieren.

Es ist nie gut genug – für den inneren Kritiker
Weißt du was: Für die kritische Stimme in unserem Kopf ist es nie gut genug. Vielleicht ist es dir schon aufgefallen, dass sie dir auch manchmal sagt, dass du nicht gut genug bist. Dein Partner. Deine Arbeit. Was auch immer. Doch dieser sogenannte “innere Kritiker” ist keine Lektorin oder Literaturprofessorin von Beruf, oder? Der innere Kritiker besitzt weder ein Verlagshaus noch ist er ein gefeierter Literaturkritiker. Nein, wir legen auf die Meinung des inneren Kritikers viel zu viel wert, obwohl er absolut nicht qualifiziert ist.
Ich erinnere mich immer wieder an diese schöne Zitat:
“Ein Buch zu Ende zu schreiben hat nichts mit Disziplin zu tun, sondern damit, sich selbst zu verzeihen, dass es nicht so gut ist, wie man es gerne möchte.”
Elizabeth Gilbert
Wenn das eine Bestsellerautorin sagt, dann weißt du, dass es auch ihrer kritischen Stimme nie gut genug ist. Diese Stimme hat also nicht recht. Sonst würde sie schließlich verstummen, sobald ein Erfolg sich einstellt. Das tut sie aber nicht.
Das Einzige, was wir tun können, ist uns auf den kreativen, nicht-perfekten Prozess des Buchschreibens einzulassen und dem inneren Kritiker nicht mehr erlauben, uns das Schreiben zu erschweren. Das können wir erreichen, indem wir dem inneren Kritiker keinen Glauben mehr schenken. Denn er sagt uns nie die Wahrheit. Er meckert einfach nur herum.
Es wird Zeit, dass du ihn nicht mehr ernst nimmst. Der einfachste Weg: Mit Spaß einen so richtig “schlechten” ersten Entwurf zu schreiben. Spaß kann er nämlich gar nicht vertragen, der innere Kritiker …